„Singen ist das gefährlichste Hobby der Welt“

5. Juni 2021

Auftritte liegen für Chöre in Corona-Zeiten in weiter Ferne. In diesem Jahr, so Friedel Snethkamp (rundes Bild), rechnet er nicht mehr damit. Das Bild entstand beim gemeinsamen Konzert der Chorgemeinschaft Lengerich mit dem Akkordeonorchester „Tanzende Finger“ vor gut zwei Jahren in der Gempt-Halle. (Foto von Gernot Gierschner/privat)

Friedel Snethkamp vom Sängerkreis Nordwestfalen über das Chorleben in der Corona-Pandemie

Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie waren Chöre fester Bestandteil des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Seit März vergangenen Jahres sind die Singgemeinschaften verstummt. Es darf nicht in Präsenz geprobt, Konzerte mussten abgesagt werden. Wie die Situation in den Mitgliedschören des Sängerkreises Nordwestfalen aktuell ist, hat Friedel Snethkamp, Beisitzer im Vorstand, im Gespräch mit WN-Redakteur Michael Baar beschrieben.

Was ist derzeit für Chöre möglich?

Friedel Snethkamp: So gut wie gar nichts. Die Aerosole, über die das Coronavirus übertragen werden können, bremsen die Chöre aus, weil die Abstandsregeln in so großen Gruppen nicht eingehalten werden können.

Sind Online-Proben eine Alternative?

Snethkamp: Im Grunde genommen nicht. Mir ist im Sängerkreis mit seinen 56 Mitgliedschören nur einer bekannt, der das durchführt. Das ist Melodize plus in Ladbergen. Die proben einmal in der Woche via Internet.

Das kann doch kein vollwertiger Ersatz für eine Präsenzprobe sein, oder?

Snethkamp: Sicherlich ist das nicht mit einem Übungsabend zu vergleichen, wie er vor der Corona-Pandemie üblich war.

Ohne Proben leidet die Gemeinschaft. Gibt es da Ansätze, das zu verhindern?

Snethkamp: Ich kenne etliche Chöre, die sich – in der Regel alle 14 Tage – online treffen, um wenigstens miteinander zu kommunizieren. Auch das ist ein Ansatz, das Zusammengehörigkeitsgefühl zu pflegen.

Was ist mit den Konzerten, die aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden mussten?

Snethkamp: Ich kann das am Beispiel meines Chores, des MGV „Heimatklang“ Settel, aufzeigen. Unser kleiner Chor und auch der MGV hatten im vergangenen Jahr Konzerte geplant. Die haben nicht stattgefunden, sollen aber nachgeholt werden.

Gibt es dafür schon Termine?

Snethkamp: Nein. Zum jetzigen Zeitpunkt, wo noch nicht wieder geprobt werden darf, lässt sich diese Frage seriös nicht beantworten.

Der MGV „Heimatklang“ hat ja auch eine Theatergruppe. Das Stück „Oll wä Schwien hatt“ wurde zwei Mal aufgeführt, dann erfolgte der Abbruch. Werden die drei ausstehenden Aufführungen nachgeholt?

Snethkamp: Ja. Stand jetzt soll das Anfang März 2022 geschehen.

Gekaufte Karten behalten ihre Gültigkeit?

Snethkamp: Die Karten bleiben gültig. Wer sein Geld zurückhaben wollte, hat das erhalten.

Gekaufte Karten, das trifft wahrscheinlich auch auf andere Chöre zu?

Snethkamp: Ja, beispielsweise auf das gemeinsame Konzert der MGV Höste und Antrup mit den 6-Zylindern. Die haben jetzt den September 2022 im Visier als Nachholtermin.

Wie kann der Sängerkreis seine Mitgliedschöre in der Pandemie unterstützen?

Snethkamp: Wir haben die Chöre immer über die auf Basis der Corona-Regelungen zu erfüllenden Anforderungen hingewiesen. Basis sind dabei die Empfehlungen des Landes-Chorverbandes. Zudem pflegen wir im Vorstand einen regelmäßigen Austausch, online natürlich.

Der Sängerkreis wollte im vergangenen Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiern. Das Coronavirus hat es nicht zugelassen. Wird die Feier in diesem Jahr nachgeholt?

Snethkamp: Nein, das ist für den 2. und 3. Oktober 2022 geplant. Für eine Durchführung noch in diesem Jahr reicht die Zeit einfach nicht aus.

Und der Kreissängertag?

Snethkamp: Der sollte im Februar in Lienen stattfinden, musste aber abgesagt werden. Jetzt peilen wir den Samstag nach Aschermittwoch, den traditionellen Termin, im nächsten Jahr an.

Hat die Pandemie zu Austritten von Mitgliedern in den Chören geführt?

Snethkamp: Von Austritten haben wir im Sängerkreis-Vorstand wenig gehört. Allerdings wird es eine Herausforderung sein, alle Sängerinnen und Sänger wieder zur Probenteilnahme zu animieren, wenn die wieder möglich sind.

Gibt es Signale, dass es bei einzelnen Chören schwierig werden könnte?

Snethkamp: Eindeutig ja. Gerade in Chören, die einen relativ hohen Altersdurchschnitt haben, könnte es schwer werden, alle Aktiven wieder für die Proben zu begeistern.

Da sind die Vorstände gefordert, oder?

Snethkamp: Sicherlich. Aber da gibt es auch Beispiele, wie auch ohne Gesang der Kontakt gepflegt wird. Beispielsweise hat in Leeden der Vorstand allen Aktiven eine kleines Weihnachtspaket vor die Türen gestellt.

Wird die Zahl der Chöre kleiner werden?

Snethkamp: (überlegt) Wenn man bedenkt, dass einige ältere Sänger offenbar nach der nun schon über ein Jahr währenden Unterbrechung nicht mehr anfangen wollen, ist das nicht auszuschließen. Allerdings weiß ich auch von einem Chor, bei dem sich die Zahl der Aktiven wohl halbieren wird. Aber dieses Dutzend will unbedingt weitermachen, trotz des Schrumpfens.

Was ist das entscheidende Kriterium, ob es weitergeht?

Snethkamp: Ganz klar, dass der Kontakt gehalten wird. Ensembles mit einem niedrigen Altersdurchschnitt haben es vielleicht etwas einfacher. Da kann eher über den Freundes- und Bekanntenkreis eine neue Sängerin oder ein neuer Sänger gewonnen werden. Dazu kommen noch die Liedauswahl und der Dirigent als Kriterien.

Wie es der MGV „Heimatklang“ vor der Pandemie gezeigt hat.

Snethkamp: Ja, da ist es uns gelungen, in kurzer Zeit sieben neue Sänger im Alter von 18 bis 50 Jahren zu gewinnen.

Wird es noch in diesem Jahr wieder Chorkonzerte geben?

Snethkamp: Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn nach den Herbstferien, früher rechne ich nicht damit, wieder Präsenzproben möglich sein sollten, reicht die Zeit einfach nicht aus, um bis Weihnachten ein Konzert auf die Beine zu stellen. Nicht organisatorisch, sondern von der Probenarbeit her.

Gibt es dafür wirklich keine Chance?

Snethkamp: Was ich mir vorstellen könnte, wäre die musikalische Begleitung durch Chöre in den Weihnachtsgottesdiensten. Dafür sollte die Zeit ausreichen. Die Bereitschaft in den Chöre ist da, die stehen quasi in den Startlöchern.

Wie haben Sie als Sänger denn die probenlose Zeit überbrückt? Mit Singen unter der Dusche?

Snethkamp: (lacht) Nein. Ich singe seit 50 Jahren und nutze die Gelegenheit, wenn ich beispielsweise mit dem Auto unterwegs bin.

Singen Sie dann Lieder aus dem Radio mit?

Snethkamp: (lacht) Nein. Ich habe ein umfangreiches Repertoire, da sind viele Liedsätze in Fleisch und Blut übergegangen, die ich dann singe.

Die Sängerinnen und Sänger sind die einen. Wie trifft Corona die Chorleiterinnen und Chorleiter?

Snethkamp: Das ist unterschiedlich. Die einen werden von ihren Chören weiterbezahlt, dann gibt es welche, die den halben Beitrag erhalten, und dann diejenigen, die darauf verzichten.

Gibt es auch hauptamtliche Chorleiter?

Snethkamp: Einige wenige sind hauptamtlich tätig. Die trifft die Corona-Pandemie besonders hart.

Wenn Sie die Auswirkungen in wenigen Worte zusammenfassen müssten . . .

Snethkamp: . . . dann würde ich den Spruch aufgreifen: „Singen ist das gefährlichste Hobby der Welt“.